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Wieder voller ENERGIE...

Raus aus der Hilflosigkeit

Veröffentlicht am 14.01.2019

Liegen psychische Krankheiten im Trend? Oder woher kommt es, dass der Fachbereich Psychotherapie momentan so sehr „boomt“?

Die Sensibilisierung auf das „anders sein“ beginnt heutzutage bereits in Kinderkrippen, setzt sich fort in Schulen und bekommt einen immer größeren Stellenwert, genannt wird diese „Abweichung“ dann häufig psychische Belastung. Sicherlich ist es gut, sich zeitnah mit Auffälligkeiten zu befassen, Dinge in Frage zu stellen und zu prüfen, wo etwas nicht läuft wie es laufen sollte. Wobei wir genau da schon im fragwürdigen Bereich sind.

Wer entscheidet denn, wie es laufen sollte, was normal ist?

Genau hier fängt es an, interessant zu werden, denn wer entscheidet über normal und nicht normal? Wer entscheidet, wann ein Verhalten auffällig ist und wann nicht mehr? Wer kann festlegen, ab wann eine bestimmte Entwicklung beginnt und abgeschlossen ist? Wir bewegen uns hier im großen Bereich der Empirie. Menschen haben über Jahrhunderte bestimmte Entwicklungen festgestellt und Regeln definiert, diese haben sich dann als „Wahrheit“ etabliert. Ein Baby muss bis zum 8. Monat sitzen und spätestens mit 15 Monaten laufen können, ein Kleinkind muss bis zum 2. Lebensjahr so und so viele Worte sprechen. Ein Kind geht mit 6, spätestens 7 Jahren in die Schule usw.

Dieses Vorgehen hat sich als passend und sinnvoll herausgestellt, weil der Großteil der Bevölkerung in dieses Raster passt und weil so das Zusammenleben oft erst möglich wird (Regeln und Vorschriften). Nur gibt es in den letzten Jahren mehr und mehr Auffälligkeiten von Kindern (man spricht von bis zu 25 %), die dieses System nicht mehr bedienen, sondern sich anders verhalten. Sie fallen auf durch zappeliges Verhalten, können nicht stillsitzen, rufen in den Unterricht hinein oder sind extrem bei sich, scheinen nicht wirklich teilzunehmen etc. Sie passen nicht in das bestehende System, halten sich nicht an die bekannten Regeln.

Schnell gibt es dann die Diagnose AD(H)S, ein paar Pillen und die Hoffnung, dass man sie jetzt wieder „in den Griff bekommt“. Diese Kinder kommen dann in die „Sondergruppe“ und erhalten spezielle Behandlungen, d. h. sie werden schon hier ausgegrenzt, auch wenn das Gegenteil beabsichtigt ist, denn man möchte ja nur helfen.

Von diesem Moment an werden diese Kinder werden häufig genauer beobachtet, jedes Verhalten wird auf die Goldwaage gelegt und beurteilt, was jedoch auch den Kindern nicht entgeht. Dieser Umgang und diese Überwachung werden bereits bei ihnen im Unterbewusstsein abgespeichert. Sie spüren, dass sie anders sind. Hinzu kommt, dass viele Hilfsmaßnahmen in Gang gesetzt werden. Die Kinder erhalten Sprachförderung, Ergotherapie, spezielle Krankengymnastik, Betreuer vom Jugendamt etc. All diese zusätzlichen Förderungen sind wieder gut gemeint und sollen helfen. Insgesamt führen sie jedoch nur zu einer Mehrbelastung bei einem Kind, das anscheinend sowieso schon vom täglichen Leben überlastet ist, weil so vieles auf es einströmt. Zusätzlich lernt das Kinder wiederum: ich bin anders, denn die anderen Kinder müssen solche Termine nicht wahrnehmen, können sich verabreden und mit anderen spielen.

Auch für die Eltern ist es eine Mehrbelastung, denn auch sie sind aufmerksamer gegenüber ihrem Kind, sie machen sich Sorgen, sie erhalten Tipps und Ratschläge von vielen verschiedenen Seiten und sind häufig gar nicht mehr in der Lage, ihren eigenen Weg zu finden. Dieses führt zu großer Verwirrung und oft wäre weniger Hilfe hilfreicher gewesen. Hilfreicher wäre in diesem Fall eine Elternberatung, in der die Eltern ihren Umgang mit dem Kind und den "Helfern" reflektieren könnten. Hierüber gäbe es die Möglichkeit, sich über eigene Fähigkeiten und Wege klar zu werden.

Eines Tages kommt dann die Einschulung auf sie zu. Auch hier ist es selten, dass diese Kinder, die bereits zuvor auffällig geworden waren, „einfach so“ in den Einschulungsprozess einsteigen. Oft gehen erneute zusätzliche Untersuchungen und Begutachtungen voraus, ängstliche Erzieherinnen melden ihre Bedenken an, weil sie das Kind ja im Umgang mit anderen erlebt haben und „wissen“, dass es die Schule nicht schaffen wird. So kann es passieren, dass eine Förderschule empfohlen wird. Nehmen die Eltern dieses System – wieder all die gutgemeinten Tipps und Ratschläge von vielen Seiten - einfach so hin und hören auf alle Empfehlungen, ohne ihrem eigenen Sinn zu vertrauen – was wiederum voraussetzt, dass sie die Zeit, Selbstbewusstsein und Fähigkeit dazu haben – dann ist der Weg dieses Kindes vorbestimmt. Selbst wenn diese krasse Möglichkeit nicht ergriffen wird, erleben sie oft in den ersten Monaten verstärkte Rückmeldungen zu auffälligem Verhalten ihres Kindes, weil die Schule ja bereits sensibilisiert worden war.

In genau diesen Momenten werden erneut bestimmte Glaubenssätze und Erfahrungen gespeichert: „Ich kann das nicht! Ich bin schlechter als andere! Ich bin minderwertig! Ich schaffe das nicht! usw. Diese Glaubenssätze führen zu bestimmten Überzeugungen und beeinflussen so das Verhalten und damit wiederum auch den weiteren Lebensweg. Je nach Intensität und weiteren Erfahrungen können sich dann Glaubenssätze und Überzeugungen weiter verstärken, so dass die eigene Aktivität, das normale Leben eingeschränkt oder manchmal auch gar nicht mehr möglich werden. Da es weiterhin zu Einschränkungen kommt, wird häufig weiter versucht, Hilfe zu gewähren, d.h. es werden neue Hilfsprogramme oder Therapien gesucht. Manchmal wird auch medikamentös eingegriffen. Das kann hilfreich und notwendig sein, meiner Meinung nach wird hier aber zu schnell gehandelt. Andere Optionen werden nicht beachtet.

Ich denke, dass viele Möglichkeiten darin liegen, wie ich mit diesen Glaubenssätzen und Überzeugungen umgehe, wer mich dabei unterstützt und diese in Frage stellt oder bestärkt. Genau diese Umstände haben einen großen Einfluss darauf wie mein weiteres Leben verläuft. Das Gute daran ist, dass ich mich jederzeit noch für einen anderen Weg entscheiden kann, wenn ich die Möglichkeit bekomme zu sehen, dass es noch andere Wege gibt und ich bereit bin, die Energie dafür aufzubringen, diese anderen Wege auch zu gehen.

Selbstverständlich gibt es auch Kinder und Erwachsene, die dieser Hilfe und Unterstützung bedürfen, nach meiner Erfahrung gibt es aber immer die Möglichkeit zur Verbesserung, um der eigenen Hilflosigkeit entgegenzutreten.

In meinem nächsten Beitrag werde ich das Thema mit einem Beispiel aus der Praxis vertiefen.